„Wer ist denn Inga Lindström?“, sagt der hochgewachsene Schwede und guckt mich fragend an. Der kennt sie nicht? Meine Reisegruppe ist verwundert. Nein, wie die meisten Schweden kennt er Inga Lindström tatsächlich nicht. Wie kommt das?
Foto: ©Tina Stafrén/imagebank.sweden.se
Wenn du regelmäßig hier mitließt, weißt du vielleicht, dass ich gelegentlich als Reiseleitung arbeite und mit deutschen Touristen durch den schönen Norden fahre. Im Sommer waren wir dabei auf den Spuren von Inga Lindström unterwegs.
Der Name Inga Lindström steht stellvertretend für die vielen Liebesgeschichten, von denen manche als Buch erschienen sind und die seit 2003 fürs ZDF verfilmt werden – mit überragendem Erfolg. Bis zu zehn Millionen Zuschauer fiebern an einem durchschnittlichen Fernsehabend mit, wenn sich die schöne Sofia vor der malerischen Kulisse der sommerlichen Schäreninseln zwischen ihrem Ehemann Frederik und dem schönen Jonas entscheiden muss. Als ich im Sommer 2019 die Filmcrew inklusive Schauspieler in einem Hotel nahe Stockholm traf, produzierten sie gerade die 89. Folge.
Wer ist Inga Lindström?
Böse Zungen behaupten, dass Inga Lindström nur ein Abklatsch der britischen Rosamunde Pilcher ist. Dort Cornwall, hier Östergötland und Sörmland. Tatsächlich ist Inga Lindström ein Pseudonym, im wahren Leben heißt die Autorin Christiane Sadlo, stammt aus Ravensburg und lebt in Berlin. Bevor sie mit den Schweden-Geschichten ihren großen Durchbruch hatte, arbeitete sie unter anderem als Drehbuchautorin. Und eben gerade, weil sie 2003 mal etwas ganz anderes, nämlich einen Roman, schreiben wollte, wählte sie ein Pseudonym.
Dafür nahm sie den Vornamen von Inga aus Bullerbü und gesellte den Namen Lindström dazu, der sich als typisch schwedischer Familienname ihrer Meinung nach viel besser als ihr eigener machte. Kleiner Funfact: Biff à la Lindström ist in Schweden eine Hackfrikadelle mit roter Beete.
War Inga Lindström alias Christiane Sadlo wirklich noch nie in Schweden?
Das Gerücht hält sich hartnäckig, aber stimmt es auch? Nein, sagt sie selbst. Die Idee für die Geschichten habe sie in einem Urlaub im Land der Elche gehabt.
Foto: ©Ola Ericson/imagebank.sweden.se
Wovon handeln die Geschichten von Inga Lindström (Achtung Spoiler!)?
Also wenn ihr mich fragt, dann geht die Geschichte immer gleich: Eine gut situierte Frau (wahlweise Schmuckdesignerin, Pferdegutsbesitzerin, Künstlerin o.ä.) muss ihren reichen Verlobten für eine Weile in Stockholm allein lassen und auf eine Schäreninsel fahren, um sich dort um ihren alten kranken und eigenbrötlerischen Vater zu kümmern. Auf der Fähre bringt sie ein dummes Missgeschick mit dem Mann ihrer Träume (der übrigens deutlich weniger solvent ist, dafür zielstrebig seine idealistischen Ziele verfolgt) zusammen, die beiden schauen sich tief in die Augen, aber mindestens einer von beiden trägt ein dunkles Geheimnis mit sich herum (nicht zu dunkel natürlich, Inga Lindströms Welt ist und bleibt auch in schweren Stunden Bullerbü für Große). Wie der Zufall es will, landen beide auf der gleichen Insel (von denen es schließlich nur 30.000 im Stockholmer Schärengarten gibt) und laufen sich fortan beinahe täglich über den Weg. Gerade als die Romanze endlich Form annimmt, taucht der Verlobte auf, um seine Bald-Ehefrau von der Insel zu holen und sich endlich mit ihr zu vermählen. Die fühlt sich hin- und hergerissen, entscheidet sich aber am Ende natürlich für den Neuen und setzt all ihre künstlerischen Fähigkeiten ein, um mit ihm ein längst in die Jahre gekommenes rotes Holzhaus zu restaurieren und ihm eine Schar Kinder zu gebären. Und was passiert mit dem alten kranken Vater und dem Ex-Verlobten? Ersterer gesundet höchstspontan beim Anblick des Liebesglücks seiner Tochter und letzterer verliebt sich in die Nachbarin, mit der er fortan ein erfülltes, sinnstiftendes und naturnahes Leben lebt. Ganz wie im echten Leben also … bis auf die Hintergrundmusik vielleicht.
Eindruck gefällig?
Warum ist Inga Lindström so erfolgreich?
Lange Sommernächte, blauer Himmel, grüne Wiesen, endloser Sonnenschein: Was Astrid Lindgren für Kinder geschaffen hat, hat Inga Lindström für Erwachsene produziert – eine Welt voller Friede, Freude, Heiterkeit. Während aber Astrid Lindgren die Geschichten vor dem Hintergrund ihrer eigenen Kindheit in Småland geschrieben hat, dient Schweden bei Inga Lindström als idyllische Kulisse voller Klischees. Bullerbü-Sydrom in Reinkultur.
Versteht mich nicht falsch, ich finde es völlig legitim, in einer Welt voller negativer Nachrichten ab und an mal Urlaub für die Seele zu machen. Die Welt schreibt: Inga Lindström Filme sind Bullerbü für Erwachsene und Henning-Mankell-Krimis ohne Mörder. Da kann ich persönlich mir nur Weniges vorstellen, was besser sein könnte.
Aber wie schwedisch ist das Schweden von Inga Lindström wirklich?
Lass es mich mal so sagen: Die Autorin kommt aus Deutschland. Das Produktionsteam kommt aus Deutschland. Die Schauspieler kommen aus Deutschland. Alle Schweden leben am Wasser. Und die Sonne scheint immer, wirklich immer.
Laufen die Geschichten auch im schwedischen Fernsehen?
Sie liefen. Zwei Filme zeigte der Fernsehsenders SVT, die der Programmchef Göran Danasten so kommentierte: „Viele Schweden wissen ja gar nicht, dass es da noch eine andere Version von ihrem Land gibt. Für einen Schweden ist es natürlich völlig bizarr, diese Filme anzusehen.“
Stört uns das, wenn wir abends pünktlich um 20:15 das ZDF einschalten? Überhaupt nicht! Denn ein bisschen heile Welt wird schließlich noch erlaubt sein, oder?
Wenn dich übrigens mal ein Schwede fragt, wer Inga Lindström ist,
dann zeig ihm einfach diesen Text vom schwedischen Fernsehsender SVT „Vem är Inga Lindström?“.
Geschichten von Inga Lindström
Die Filme und Bücher von Inga Lindström* kannst du natürlich auch nach Hause bestellen.
Und was meinst du – sind Inga Lindström Geschichten schwedisch?
Oder gar nicht? Ich finde, darüber lässt sich streiten. Erzähl mir doch mal deine Meinung in den Kommentaren!
Möchtest du immer auf dem Laufenden über alle Geschichten auf dem Blog bleiben, …
folg mir doch auf Facebook, Twitter und Instagram.
Einen originalen Drehort von Inga Lindström habe ich übrigens hier besucht:
Trosa: Typisch Schweden! Urlaub bei Inga Lindström
*Die mit Sternchen (*) gekennzeichneten Links sind sogenannte Affiliate-Links. Wenn du auf so einen Affiliate-Link klickst und darüber einkaufst, bekomme ich von dem betreffenden Online-Shop oder Anbieter eine Provision. Du bezahlst deshalb aber nicht mehr Geld.
Als Schwedin habe ich dazu eine klare Meinung: Inga Lindström ist kein Stück Schwedisch. Die Kulisse zeigt die Landschaft Schwedens, aber die Karaktäre verhalten sich durch und durch wie deutschen Schweden-Klischees. Was absolut unerträglich ist, ist das Siezen (und die umständliche wechsel zu Duzen), was in Schweden vor mehr als 50 Jahren abgeschafft wurde. Auch andere „Faktenfelhler“ in den Umgang stören sehr. Das idealisieren ist ja ok, aber es als Schwedisch zu verkaufen, wenn man einfach eine Deutsche Geschichte in Schweden spielen lässt und die Schwedische Kultur überhaupt nicht recherchiert, grenz an Aneignung fremder Kulturen für seine eigene kommersielle Zwecke.
Guter Bericht !
können Sie mir die Adresse oder E-Mail von Christiane Sadlo geben?
Ich würde ihr gerne schreiben.
Liebe Frau Sandner, leider habe ich die Kontaktdaten nicht. Viele Grüße