„Finnland hat mehr zu bieten als Kaurismäki-Filmfiguren“- Beat Hüppin vom Antium Verlag im Interview -


„Finnisch ist eigentlich ganz leicht“, zitiert Verleger, Übersetzer und Autor Beat Hüppin im Interview seinen Onkel. Die rund fünfzig verschiedenen Begriffe für „Schnee“ und „Rentier“ im Roman „Poromafia“, das er momentan übersetzt, stellen ihn dann aber doch vor Herausforderungen.

Hallo Beat, du hast im letzten Jahr den Verlag Antium gegründet, der 2019 der Verlag mit den (voraussichtlich) meisten deutschen Übersetzungen aus der finnischen Belletristik ist – nämlich drei. Warum sollten wir Schweizer, Deutschen und Österreicher unbedingt mehr finnische Bücher lesen?

Weil man so lernen könnte, dass Finnland eben nicht nur aus Kaurismäki-Filmfiguren besteht, sondern so viel mehr zu bieten hat. Die einheimische Kultur und Literatur wird in Finnland so sehr hochgehalten, und gleichzeitig wird so wenig davon ins Deutsche übersetzt. Da besteht eine starke Diskrepanz, die ich nicht so stehenlassen kann!

Was unterscheidet finnische Romane denn von anderen?

Die Frage lässt sich nicht generell beantworten, da dies uns gerade zu den Klischees über Finnland bringen würde, die ich aber nicht mag. Die finnische Literatur besitzt eine unglaubliche Vielfalt. Besonders fällt mir auf, dass viele Autoren sehr kreativ mit der Sprache spielen, was anspruchsvoll zum Übersetzen ist.

Viele finnische Autoren sind besonders gut darin, Naturstimmungen in Worte zu fassen, nicht verwunderlich für ein Land, in dem besiedelte Gebiete und Wildnis so sehr ineinander verzahnt sind.

Wie findest du die Bücher, die du in deinem Verlag auf Deutsch herausbringst?

Der Prozess ist unterschiedlich. Manche Autoren kontaktieren mich direkt. Sie sind ja untereinander auch per Facebook & Co. vernetzt und wenn da einer postet, dass er bei uns eine Übersetzung herausbringen kann, wissen es alle.

Eine etwas außergewöhnliche Story war die des Buchs „Poromafia“ (Rentier-Mafia), das ich gegenwärtig übersetze. Ich habe den Autor vorher nicht gekannt und sah das Buch in einem Bücherkiosk im Flughafen Helsinki-Vantaa. Das Cover, in Verbindung mit dem Titel, hat mich sofort angesprochen und ich habe mir das Buch gekauft. Nachdem ich die ersten beiden Seiten des Buches gelesen hatte, wusste ich sofort, dass ich die Rechte für unseren Verlag bekommen muss.

Wonach wählst du die Werke aus?

Was uns besonders wichtig ist: Die Bücher sollen relevante Aspekte von Kultur, Geschichte und Mentalität des jeweiligen Landes transportieren. Ein finnischer Autor, der etwa einen Krimi komplett in Brasilien spielen lässt, wäre für uns völlig uninteressant. Überspitzt gesagt: Wo Finnland draufsteht, soll auch Finnland drin sein.

Welchen finnischen Autor würdest du gerne für Antium gewinnen?

Meinen großen Wunsch, Antti Tuuri zu übersetzen, konnte ich bereits realisieren („Strasse ins Paradies“) und jetzt lasse ich es einfach auf mich zukommen.

Ich habe in der Uni selbst mal ein Semester Finnisch belegt – und ziemlich schnell aufgegeben. Ist es schwieriger, Finnisch zu übersetzen, als beispielsweise Englisch, das dem Deutschen so viel näher ist?

Mein Onkel pflegt zu sagen: „Finnisch ist doch eigentlich ganz einfach. Sieh mal: in Finnland kann das jedes Kind.“ Als Muttersprachler geht es eben einfacher. Da konnte ich also von der familiären „Vorbelastung“ profitieren.

Und: Literatur zu übersetzen, ist nie „einfach“. Natürlich ist Finnisch als nicht-indogermanische Sprache strukturell komplett anders und man muss die Satzstrukturen schon mal komplett über den Haufen werfen. Bei mir ist ein wenig das Problem, dass ich die aktuelle Umgangssprache und Slang manchmal schlecht verstehe. Zum Glück gibt es entsprechende Wörterbücher im Internet. Und im allerschlimmsten Fall habe ich ja immer noch Verwandte in Finnland, die ich anzapfen kann.

Zum Übersetzen gehört ja viel mehr, als einfach nur Wörter zu finden. Worin besteht die eigentliche Herausforderung?

Ich muss den Sinn und das Gefühl des Textes so ins Deutsche transportieren, dass der Leser – im Idealfall – nicht mehr merkt, dass es eine Übersetzung ist. Dass dies zu 100% gelingt, ist natürlich eine Illusion. Besonders schwierig ist es bei Wortspielen und zweideutigen Aussagen, die manchmal schlichtweg unübersetzbar sind. Und ich muss die Übersetzung stilistisch so durchkomponieren, dass sie dem Stil des originalen Autors gerecht wird.

Ich erinnere mich an den finnischen Begriff (den musste ich jetzt zugegebenermaßen erstmal nachschlagen) „kalsarikännit“. Der bedeutet auf Deutsch so viel wie: „Sich alleine besaufen, zu Hause, in Unterwäsche.“ Wie übersetzt man so etwas in einem Roman richtig?

Wenn das Wort isoliert betrachtet wird, kann ich die Frage nicht beantworten. Da muss ich mir den ganzen Satz oder Abschnitt ansehen und dann eine kreative Lösung finden. In diesem konkreten Fall würde es sicher auf irgendeine Umschreibung hinauslaufen, die eben die ganze Situation richtig erfasst. Ein anderes Beispiel sind die ca. fünfzig verschiedenen Begriffe für „Schnee“ und „Rentier“, die ich in „Poromafia“ übersetzen muss. Eine fast unmögliche Aufgabe!

Was liest du in deiner Freizeit am liebsten – und tust du das überhaupt mit deinem Job noch?

Was ist Freizeit? :-D Nein, Scherz, ich bin wirklich Berufsleser. Mein Brotberuf ist Lehrer am Gymnasium (Latein und Deutsch). Dazu muss ich wohl nicht viel mehr sagen.

Und wie holst du dir das Skandinaviengefühl in die Schweiz?

Indem ich finnische Produkte aus den Ferien mit nach Hause nehme: Finnische Erbsensuppe, Elch- und Fischkonserven, Lakritze, … Ich mache mir dann zu Hause Elch-Hamburger.

Warst du als Schweizer auch schon mal zum Wintersport im Norden?

Ich fahre im Normalfall nur im Sommer in den Norden. Im Winter sind die Tage ja so kurz, das irritiert mich und deshalb mag ich die hellen Sommernächte doch bedeutend lieber.

Hast du noch einen Tipp für mich und die Leser, was wir in diesem Sommer in Finnland auf jeden Fall gemacht haben sollte?

Also: Nord-Savo, von wo unsere Familie stammt, ist ja nun wirklich nicht sehr touristisch. Aber wer durch diese Region fährt, muss in Iisalmi unbedingt einen Abstecher zum Hafenrestaurant „Olutmestari“ machen. An einem schönen Tag kommt auf der Terrasse fast schon südliches Ambiente auf und man isst zwar nicht schickimickimäßig, aber gut. Auch mit Kindern geeignet. Auf der Durchfahrt könnt ihr in Pielavesi gleich noch das museal eingerichtete „Lepikon torppa“ besichtigen, die Geburtsstätte des legendären finnischen Präsidenten Urho Kekkonen. Klein, aber eindrücklich.

Noch ein Geheimtipp, auf den Touristen eigentlich nie kommen: In Finnland gibt es jedes Jahr eine große Häusermesse (asuntomessut), immer in einer anderen Stadt, wofür eigens ein ganzes Neubauquartier aus dem Boden gestampft wird. Es ist sehr interessant, all die Neubauhäuser zu besichtigen, die nach der Messe stehenbleiben und bewohnt werden. Viele Finnen gehen zu der Messe, auch wenn sie im Moment gar kein Haus bauen wollen, einfach nur, weil es so interessant ist. Diesen Sommer (2019) findet die Messe in Kouvola statt. Zur gleichen Zeit findet übrigens dort auch die Büchermesse Kymi Libri statt, bei der ich Teilnehmer an einer Podiumsdiskussion sein werde.

Und jetzt aber wirklich die letzte Frage: Wann geht es für dich das nächste Mal in den Norden?

Natürlich diesen Sommer, ist das eine Frage? :-D

Verlosung (abgelaufen)

Du bist jetzt ganz neugierig und möchtest unbedingt einen finnischen Roman aus dem Antium Verlag lesen? Dann habe ich gute Neuigkeiten für dich! Denn zusammen mit Beat verlose ich jedes bisher erhältliche finnische Buch einmal. Alles, was du dafür tun musst:
Trollland auf Facebook einen Like geben (falls du das nicht schon längst getan hast)
– Mir in den Kommentaren verraten, welches der folgenden drei Bücher du gewinnen möchtest (und gerne auch warum):

Teilnehmen kannst du noch bis zum 31. Mai 2019 um 23:59:59. Deinen Namen und deine E-Mail-Adresse, die nicht öffentlich angezeigt wird (!), verwende ich nur im Rahmen dieses Gewinnspieles (klickt hier für mehr Informationen über euren Datenschutz). Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Die Verlosung erfolgt via Zufallsgenerator. Den Gewinner kontaktiere ich per E-Mail. Meldest du dich innerhalb von 3 Tagen nicht bei mir mit deiner Postadresse, verlose ich den Gewinn weiter.

Wissenswertes

Beat Hüppin hat eine finnische Mutter und einen schweizer Vater, lebt aber schon sein ganzes Leben lang in der Schweiz. Als wäre finnisch nicht schon schwer genug, hat er lateinische und deutsche Literatur und Sprachwissenschaft studiert und arbeitet heute als Gymnasiallehrer. Dazu hat er bereits drei Romane veröffentlicht, übersetzt finnische Literatur und hat 2018 gemeinsam mit drei Freunden den Antium Verlag gegründet. Mehr Informationen über Beat Hüppin findet ihr auf seiner eigene Webseite und der Webseite des Antium Verlages.

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